3.2  DIE Schiff und DER Sekt


 Betrachtet man die Nomenklatur des Schiffes wird deutlich, dass, sobald das - noch sächliche - Schiff getauft wird und somit einen Namen bekommt, es von dem bloßen Ding zu einem Weib wird. Auch wenn der Name zum Beispiel Kaiser Wilhelm II. eigentlich ein männlicher ist, heißt das Schiff dann die Kaiser Wilhelm II. Wenige Ausnahmen beispielsweise bei Tiernamen bestätigen die Regel.16 Das mag daran liegen, dass die Seefahrer - zu 100 Prozent Männer - auf ihren wochen- oder monatelangen und teilweise auch noch längeren Reisen keine Frauen zu Gesicht bekamen und Mann deshalb so viel wie möglich verweiblichte: die See, die Galionsfigur, die Taufpatin und eben auch das Schiff, in deren Bauch man sich sicher und geschützt wie ein ungeborenes Kind fühlen wollte. Dass bei der Jungfernfahrt eines Schiffes der Bauch noch komplett leer ist (siehe 3.1), mag ein Grund für die Bezeichnung als Jungfer (verkürzt für Jungfrau) sein.  Nicht nur dem Schiff lässt sich ein Geschlecht zuordnen. Das ganze Ritual der Taufe lässt sich psychoanalytisch als ein Symbolischer Zeugungsakt deuten. Die Taufpatin nimmt den Platz der Mutter ein, während die Sektflasche den männlichen Part übernimmt. Denn wie Lorenz Engell so treffend und nicht ohne Witz bemerkte: "Wir alle wissen natürlich, was wir von Sektflaschen, die aufgehen und Schaum entlassen, zu halten haben."17
 
 Nach diesem Akt der Zeugung folgt als Passage der Stapellauf, der gleichsam die Geburt des Schiffes bedeutet, an dessen Ende - als Ankunft - der Eintritt ins Wasser steht. Es ist also möglich, hier die dreigliedrige Struktur Abreise, Passage, Ankunft, wie sie in "Rites de passage" von Arnold van Gennep 1908 festgehalten wurde18 nachzuzeichnen. In der Lesart der Schiffstaufe als Geburt stehen auch die Bänder, die während des Stapellaufes zwischen Schiff und Land gespannt - symbolisch als Nabelschnur - zerreißen (siehe 3.1).

Quellen: 

16http://de.wikipedia.org/wiki/Seemannskultur#Schiffsnamen, (01.02.2010) 

17Lorenz Engell im Vortrag zum Film "Das verflixte siebte Jahr" von Billy Wilder, gehalten am 12.11.2009 in der Vortragsreihe "Der lustige Film". Mitschnitt der Vorlesung: http://vimeo.com/7608836, (02.01.2010)

18vgl. Thomas Macho: Das zeremonielle Tier: Rituale, Feste, Zeiten zwischen den Zeiten. Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens, Band 9. Styria Pichler Verlag: 2004, S.43